DE IMIS SUPER SIDERA Ineinanderfließen von Klang und Farbe | Sound and color flow into each other
Konzipiert für die Master Abschlussprüfung 2015 an der ZHdK, Zürich. | Designed for the master exam 2015, ZHdK Zürich.
ein inneres Bild und | an inner image and
ein inneres Bild | an inner image
äußern sich | ex-press themselves
außer sich. | out-side themselves.
Außer sich sichtbar | Becoming visible just outside of themselves
ist unsichtbar, | it's in-visible,
welches Bild | which image
de imis super sidera | de imis super sidera
im Inneren und | in-side and
im Inneren | in-side
sichtbar wird. | becomes visible.
In der Sprache der Außenwelt erscheinen unsere inneren Farben in einem anderen Licht. Es gibt eine Veränderung hin nach außen und es gibt eine Veränderung hin zum Inneren des anderen. Können unsere Bilder durch diese Veränderungen an Farbreichtum gewinnen? Können wir der möglichen Gefahr entgehen, dass durch diese Veränderungen die Essenz unserer Bilder bis ins Unkenntliche umgefärbt wird oder dass unser Ausdruck im Eindruck eines anderen zurechtge(d)rückt wird?
Musikalisch-künstlerische Performance zum Versuch einer Annäherung innerer Bilder durch Klang- und Farbgesten. Mit Klängen der Heiligen Hildegard, Hotteterre, Hosokawa und Debussy. Live painting von Jayn Erdmanski. |
In the language of the outside world our inner colours appear in a different light. There is a change towards the outside and there is a change towards the inside of the other. Can our images gain richness in colour through these changes? Can we avoid the possible danger that these changes will change the essence of our images beyond recognition or that our ex-pression, in the im-pression of the other, will be adjusted and pressed into different forms?
Musical-artistic performance to approach inner images through gestures of sound and colour. With sounds of the Holy Hildegard, Hotteterre, Hosokawa and Debussy. Live painting by Jayn Erdmanski.
Programmnotizen | programme notes:
Hildegard von Bingen „Caritas abundat“
Ein Licht erstrahlt, Farben hat es noch nicht entworfen.
Noch ganz eins in sich durchflutet es das Verborgene.
Ist es schattenlos?
Erst langsam beginnt sich ein Umriss abzuzeichnen,
beginnt, aus dem Licht herauszufließen – |
A light shines, it has not yet reached out for colours.
Still one in itself it floods the hidden.
Is it shadowless?
Only slowly does an outline begin to emerge,
begins to flow out of the light -
Jacques-Martin Hotteterre „Prelude en G. Re, Sol, 3ce. Mineure“
bis er Gestalt annimmt und Farben.
Wer hat die Farben in ihre Form gehaucht?
Die Farbpalette abtastend sind wir noch zwei |
until it takes shape and colors.
Who whispers the colors into its shape?
By groping along the color palette we are still two
Claude Debussy „Syrinx“
bis du versuchst, auf mich überzuschwappen.
Ich laufe über das Wasser
davon,
flüchte mich auf die Erde
um von dir zerrissen zu werden. |
until you try to spill over to me.
I walk on water
away,
flee to the earth
to be torn up by you.
Toshio Hosokawa „Tsurenaki Hito“ (Lost Love Song)
Auf dem Erd-Boden der Tatsachen baut sich eine andere Welt auf
zwischen Kristallklängen und Fassbarkeit
liegt sie doch im Dunkeln. |
Another world is being built on the ground of facts
between crystal sounds and earthiness
this world still rests in the dark.
Claude Debussy „Sonate pour Flute, Alto et Harpe“, 2. Satz „Interlude“
Die dunkle Klarheit verwischt
zu einem Teich,
auf dem sich das Licht reflektieren kann.
Wäre Monet da, er würde vielleicht seine Seerosen daraufsetzen. |
The dark clarity blurs
into a pond,
on which the light can be reflected.
If Monet were here, he'd probably put his water lilies on it.
Jacques-Martin Hotteterre „Prelude en D. La, Re, 3ce Majeure“
Wir aber sind nicht Monet,
wer wir sind
bleibt uns selbst überlassen.
Kein Bild soll uns mehr aufgezwängt werden
Kein Bild von der Welt
Kein Bild von uns selbst. |
But we are not Monet,
who we are
is up to us.
No image shall be forced upon us anymore
No image of the world
No image of ourselves.
Hildegard von Bingen „Kyrie“
Selbst was das Selbst ist
wissen wir nicht.
Ergibt sich, dem Selbst überlassen,
wie von selbst
eine Chance, aus der Dunkelheit heraus ins Licht zu sehen? |
Even what the self is
is up to itself.
Is there, like by itself,
if one surrenders to oneself,
a chance to look out of the darkness into the light?
Zu den Stücken | about the pieces
Hildegard von Bingen (1098-1179)
„Caritas abundat“ und „Kyrie“
Die mittelalterliche Mystikerin beschreibt in ihren Visionen das intensive Erleben von göttlichen Lichterscheinungen. Licht ist die noch ungebrochene Verbindung aller Farben. In „Caritas abundat“ geht es für mich genau um diesen Urzustand der Einheit, in dem sich die Farben noch nicht zu Bildern gefügt haben und in dem es (noch) keine Trennung zwischen innerer und äußerer Welt gibt. Im Ruf um Erbarmen des Kyries wurde diese Trennung bereits erfahren. | In her visions, the medieval mystic describes the intensive experience of divine light appearances. Light is the still unbroken connection of all colours. For me, "Caritas abundat" is exactly this primordial state of unity, in which the colours have not yet joined to form pictures and in which there is not (yet) a separation between the inner and outer world. This separation has been experienced in the cry for mercy of the Kyrie in the end of the performance.
„Caritas abundat“:
Caritas abundat in omnia, | Die Liebe überflutet das All | Love floods the universe
de imis excellentissima super sidera, | von der Tiefe bis hoch zu den Sternen | from the depths to the stars
atque amantissima in omnia, | und sie liebt über alles | and she loves more than anything
quia summo Regi | da sie dem höchsten König | having given the highest king
osculum pacis dedit. | den Friedenskuss gegeben hat | a kiss of peace
In saecula saeculorum, Amen. | Von nun an bis in Ewigkeit, Amen | From now until forever and ever, Amen. .
Jacques-Martin Hotteterre (1674-1763)
„Prelude en G. Re, Sol, 3ce. Mineure“ und „Prelude en D. La, Re, 3ce Majeure“ aus dem „L’art de preluder“ für Blockflöte und Basso Continuo
Die beiden didaktischen Preludes mit Basso Continuo, die Hotteterre ans Ende seines Lehrwerkes setzt, kadenzieren innerhalb der gegebenen Tonart durch alle Stufen hindurch und zeigen so exemplarisch die unterschiedlichen Klangcharakteristika und Farben der einzelnen Stufen auf.
Über die Tonart D-Dur des zweiten Preludes ist in einer späteren Quelle zu lesen: „Zauberische Lichthelle schwebt durch die Tonart“ |
The two didactic preludes with basso continuo that Hotteterre places at the end of his treatise, make cadences on each note of the given key, thus showing in an exemplary manner the different sound characteristics and colours of the individual notes and their corresponding harmonies.
About the key of D major of the second prelude can be read in a later source: "Magical bright light floats through this key".
Claude Debussy (1962-1918)
„Syrinx“ für flûte seule und
„Sonate pour Flute, Alto et Harpe“, 2. Satz „Interlude“,
in einer Bearbeitung für Blockflöte, Viola, Marimbaphon und Kontrabass | arranged for recorder, viola, marimbaphone and double bass
Debussys Kompositionen bemühen sich darum, neue Klangfarben zu entdecken, Klangbilder zu malen und Atmosphären zu schaffen, die oft die Fromstrukturen verwaschen. Seine Musik wird daher mit impressionistischer Malerei verglichen. | Debussy's compositions strive to discover new timbres, paint sound pictures and create atmospheres that often blur the formal structures. His music is therefore compared with impressionistic painting.
Zu Syrinx:
Die Wassernymphe Syrinx ist eine Gestalt aus der griechischen Mythologie, die die Liebe des Gottes Pan verschmäht. Als er sie daraufhin verfolgt, verwandelt sie sich in ein Schilfrohr, um ihm zu entkommen. Als sein frustrierter Atem das Schilf streift, ertönt ein ergreifender Klang. Pan reißt das Schilf ab und spielt auf der daraus entstandenen Panflöte. | The water nymph Syrinx is a figure from Greek mythology who spurns the love of the god Pan. When he chases her, she turns into a reed to escape him. As his frustrated breath brushes the reed, a poignant sound is heard. Pan tears down the reeds and plays the- pan flute.
Toshio Hosokawa (*1955)
„Tsurenaki Hito“ (Lost Love Song) für Streichquartett, Stimme und Bassblockflöte | for string quartet, voice and bass recorder
Tsurenaki Hito beschreibt mit seinen ungewohnten Klangfarben, die zum Teil die Natur imitieren sollen, zum Teil sphärisch schweben, die Sehnsucht nach der Geliebten durch folgenden Text | Tsurenaki Hito describes the longing for the beloved with his unusual timbres, some of which are intended to imitate nature, others floating spherically, through the following text :
Es scheint, dass meine Liebe den ganzen leeren Himmel bedeckt hat. Denn obwohl ich versuche, meine Gedanken zu beruhigen, können sie nirgendwo hingehen. | It seems my love has covered over all the empty sky. For though I try to ease my thoughts, there is nowhere they can go