Im Kleiderschrank zwischen Chaos und Kosmo I In the wardrobe between Chaos and Cosmos

Musiktheater im Wechselspiel zwischen Chaos und Ordnung, überfordernde Überfülle und deren Schrankhabung. | Musical theatre moving between chaos and order, overwhelming abundance and its the attempt to handle it in a wardrobe.

Konzipiert für die Bachelor Abschlussprüfung 2013 an der ZHdK, Zürich. | Designed for the Bachelor final examination 2013 at the ZHdK, Zurich.

Im Schrank…

Der Schweizer Maler Paul Klee leidet an einer Hautverhärtungskrankheit. Der Schweizer Maler Paul Klee malt ein Bild. Er nennt es: „Der Schrank“.

Wie fühlt man sich, wenn man in seiner eigenen Haut eingesperrt ist, starr wie ein Möbelstück geworden ist und dastehen muss, wo andere frei herumlaufen können?

Den Schrank kann man öffnen…

Wie fühlt man sich, wenn man seinen Schrank öffnet, und draußen im Zimmer der Welt gibt es nur Chaos zu sehen, getreu dem Motto: Am Anfang aber war die Erde wüst und leer, am Anfang herrschte CHAOS?

Ordnungsversuche….

Wohin führt das Gefühl, sich zwanghaft einer Ordnung unterwerfen zu müssen, die einen aber doch nur ein-schränkt?

Ins Chaos?

Wohin führt der Versuch, sein eigenes Chaos als Ordnung zu betrachten und abgeschieden von allen anderen Ordnungen darin verharren zu müssen?

Nirgendwohin?

Und wohin führt der Versuch, sich einfach vor das Chaos zu stellen, es von vorne zu betrachten, es stehen zu lassen – und einfach weiter zu laufen?

Denn wer weiß, vielleicht ist mit dem Chaos ja alles in Ordnung….

Die griechische Mythologie nennt als Gegenbegriff zum Chaos den Kosmos (im Sinne von Welt-Ordnung) und hebt den Zustand der Ordnung damit auf eine höhere Ebene: Ordnung wird zum herrschenden Weltgesetz, Chaos ein Teil von ihr. Die Naturwissenschaft stellt in der Chaosforschung das Chaos wiederum als gleichwertiges, eigenständiges Element neben die Ordnung - indem sie versucht, Ordnung in die chaotischen Elemente zu bringen. |

In the wardrobe...

The Swiss painter Paul Klee suffers from a skin hardening disease. The Swiss painter Paul Klee is painting a picture. He calls it "The Wardrobe".

How do you feel when you are locked up in your own skin, stiff as a piece of furniture and have to stand where others can walk around freely?

You can open the wardrobe...

How do you feel when you open your wardrobe and outside in the room of the world there is only chaos to see, true to the motto: But in the beginning the earth was desert and empty, in the beginning CHAOS ruled.

Attempts to make order...

Where does the feeling lead to, if you are forced to submit to an order, which restricts you to that extend that you feel closed in back in your wardrobe?

Does it lead - into chaos?

Where does the attempt to regard one's own chaos as order and to have to remain isolated from all other orders lead to?

Nowhere?

And where does the attempt to simply stand in front of the chaos, to look at it from the front, to let it stand - and just keep going on - lead to?

Who knows, maybe everything is in order with chaos...

Greek mythology cites the cosmos (in the sense of world-order) as a counter-concept to chaos and thus raises the state of order to a higher level: order becomes the ruling law of the world, chaos a part of it. In chaos research, natural science in turn places chaos as an equal, independent element alongside order - by attempting to bring order to the chaotic elements.

Programmnotizen | programme notes :

Marin Marais (1656-1728), Variationen über „Folies d’Espagne“

Einer Variationenfolge liegt immer ein strenges Kompositionsprinzip zugrunde: Die sich hier streng wiederholende Ordnung eines immer gleichbleibenden Bassmodells erlaubt keine Ausbrüche, aber sie ermöglicht, dass das eine Thema innerhalb dieser Ordnung in seine verschiedensten und vielfältigsten Betrachtungsweisen zerlegt werden kann. Der Zwang, sich in dieser einen Form von Ordnung ganz ausleben zu müssen, führt aber auch dazu, dass sich die „Folie“, der Wahnsinn, als chaotisches Element unter die Ordnung mischt… | A sequence of variations is always based on a strict compositional principle: the strictly repetitive order of a bass model does not permit any outbreaks, but it does allow the one theme within this order to be borken down into its most varied and diverse viewpoints. The constraint to have to live in this one form of order, however, also leads to the fact that the "folie", the madness, mingles with the order as a chaotic element...

       Fulvio Caldini (*1959), Clockwork Game op. 72/A (1999) für Blockflötenquartett

Als minimalistisches Stück arbeitet das Clockwork Game mit einer sehr kleinen, überschaubaren Menge an Kompositionsmaterialien, die es auf die verschiedensten Arten neben- oder übereinander anordnet. Es versucht, aus recht einfachem Material einen ganzen Kosmos zu schaffen, in dem sich undurchdringbare Komplexität und Klarheit in einem permanenten Wechsel befinden. | As a minimalist piece, the Clockwork Game works with a very small, manageable amount of compositional material, which it arranges in various ways, one after another or on top of each other. It tries to create a whole cosmos out of quite simple material, in which unreadable complexity and clarity are in a permanent state of change.

Louis Andriessen (*1939), Sweet (1964) 

Die zeitgenössische Komposition hat einen Nervenzusammenbruch zum Inhalt. In der Ruhe des Anfangs lauert bereits die Ahnung des Gefährlichen, das immer mehr hervorbricht. Ein Triller läutet eine erste Wahnvorstellung ein, sie heißt | The contemporary composition is about a nervous breakdown. In the calmness of the beginning already lurks the presentiment of the dangerous, which is breaking out more and more. A trill rings in a first hallucination, it is called

Angelo Berardi (1636-1694), Canzone Sesta (Capriccio per Camera):

Arcate, Corrente francese, Tempo furio di Sarabande presto, Balletto grave, Cromatico, Tempo die Gagliarda, Tempo ineguale, Arcate, Tempo inglese, Perfida replicata, Aria Todesca, Adagio

Schon der Titel Capriccio deutet an, dass diese Canzone sich kreativ mit einer gewissen Formlosigkeit auseinandersetzt. Dazu stellt Berardi verschiedenste Tänze aus unterschiedlichen Nationalstilen und völlig freie Teile zusammen. Die Tänze werden dabei zum Teil modifiziert oder karikiert. Auch die übergangslose Aneinanderreihung und die willkürlich erscheinende Abfolge der einzelnen Teile wirken entfremdend bis absurd. Um die Absurdität dieser Canzone zu unterstützen, spielt statt dem Cembalo ein Akkordeon den Basso Continuo. | Already the title Capriccio suggests that this canzone creatively deals with a certain formlessness. Therfore, Berardi puts together various dances from different national styles and completely free parts. The dances are partly modified or caricatured. Also the seamless sequence and the seemingly arbitrary order of the individual parts have an alienating to absurd effect. To support the absurdity of this canzone, an accordion plays the basso continuo instead of the harpsichord.
 

Louis Andriessen, Sweet

Die Wahnvorstellung führt zum Nervenzusammenbruch. Der Nervenzusammenbruch führt zur Heilung. | The hallucination leads to nervous breakdown. The nervous breakdown leads to healing.

 Fulvio Caldini, Clockwork Game

Wird die Musik nach dem Geschehenen eher als wohltuende Ordnung wahrgenommen, auch, weil man vorher schon mit ihr vertraut gemacht worden ist? Ob etwas als geordnet oder chaotisch empfunden wird, muss von den Erfahrungen abhängen, die das Bewusstsein gemacht hat. Diese Bewusstseinswandlung dient als Möglichkeit, der Gefahr des Chaos zu entkommen, ermöglicht also, es in eine neue Ordnung zu integrieren. | Is the music after what happened perceived more as a pleasant order, also because one has been familiarized with it before? Whether something is perceived as orderly or chaotic must depend on the experiences that the consciousness has made. This change of consciousness serves as a way of escaping the danger of chaos, thus enabling it to be integrated into a new order.